1992

Quelle: Seminararbeit von Martina Sochin, Eschen und «Die Chronik der Verfassungsfrage» des Demokratiesekretariats

  • Mai 1992
    Fürst Hans-Adam II. will die Volksabstimmung über den EWR-Beitritt vor der Schweizer Abstimmung abhalten.
  • 21. Oktober 1992
    Der Landtag empfiehlt der Regierung, die Abstimmung über den EWR-Beitritt nach derjenigen der Schweiz abzuhalten. Die Regierung informiert den Fürsten über den Entscheid und bittet um einen Besprechungstermin. Gleichzeitig verweist die Regierung auf die Bestimmung im Volksrechtegesetz, die festhält, dass die Terminierung der Volksabstimmung in ihre Zuständigkeit fällt.
  • 27. Oktober 1992
    Zwischen 11 und 13 Uhr finden Gespräche zwischen Fürst und Regierung statt. Der Landesfürst vertritt den Standpunkt, dass die Ansetzung des Abstimmungstermins in seine Kompetenz falle, da ihm gemäss Art. 8 LV die Hauptverantwortung für die Aussenpolitik zustehe. Ausserdem habe er gemäss Art. 92 LV ein Weisungsrecht gegenüber der Regierung. Der Fürst stellt der Regierung das Ultimatum, seiner Weisung bezüglich Abstimmungstermin zu folgen oder zurückzutreten. Sollte sie weder das eine noch das andere tun, werde er den Landtag auflösen und die Regierung entlassen und bis zu Neuwahlen mit Notverordnungsrecht regieren.
    Die Regierung berät anschliessend mit erfahrenen Verfassungsjuristen. Diese vertreten folgende Ansicht:

    • Gemäss Volksrechtegesetz ist die Festlegung des Abstimmungstermins Sache der Regierung.
    • Art. 8 LV betrifft nur die Vertretungsvollmacht des Landesfürsten nach aussen.
    • Sowohl die Auflösung des Landtags wie auch die Anwendung des Notrechts bedürfen der Gegenzeichnung des Regierungschefs.
    • Art. 92 LV eröffnet dem Landesfürsten kein allgemeines Weisungsrecht.
    • Die Regierung ist ein eigenständiges Organ mit eigenem Kompetenzbereich, das gemäss Verfassung nicht nur dem Landesfürsten, sondern auch dem Landtag verantwortlich ist (Art. 78 LV).

    Noch vor Ablauf des fürstlichen Ultimatums an die Regierung teilt der Fürst dem Landtagspräsidenten mit, dass er nicht zuwarten könne, bis die Antwort der Regierung eintreffe. Weil er das Vertrauen in den Landtag verloren habe, wolle er ihn am nächsten Tag auflösen. Dazu beruft er den Landtag auf den 28. Oktober um 17 Uhr ein. Und um 20.15 Uhr des 28. beabsichtigt er, via Fernsehen dem Volk mitzuteilen, dass er vom Notrecht Gebrauch gemacht habe.
    Die Regierung hatte in der Zwischenzeit die Volksabstimmung nach dem Schweizer Termin anberaumt und sieht keine Veranlassung zurückzutreten.
    Die beiden Landtagsfraktionen der FBP und der VU, welche sich zu Krisensitzungen trafen, vertreten die Ansicht, dass der Fürst den Landtag ohne Gegenzeichnung des Regierungschefs nicht auflösen könne (Art. 85 und 86 LV). Der Landtag ist vom Volk und nicht vom Landesfürsten gewählt. Deshalb sei die Volksvertretung allein dem Volk verantwortlich. Folglich gebe es keinen Rechtsgrund zu seiner Auflösung. Falls der Konflikt nicht gelöst werden könne, müsse hierüber im Sinne von Art. 112 LV der Staatsgerichtshof als Schiedsrichter entscheiden.

  • 28. Oktober 1992
    Das achtköpfige überparteiliche Komitee «Für Monarchie und Demokratie» unternimmt den Versuch, die Krise abzuwenden. Es ruft einerseits zu einer Kundgebung vor dem Regierungsgebäude auf. Andererseits beginnt es mit intensiven Verhandlungen mit den Streitparteien.
    Das Komitee wird vom Fürsten zu Verhandlungen empfangen. Um 13.30 Uhr verlässt das Komitee mit einem Kompromissvorschlag das Schloss.
    Am Nachmittag versucht das Komitee, die Regierung und die Landtagsfraktionen für den Kompromiss zu gewinnen. Das überparteiliche Komitee droht damit, den im Schloss ausgehandelten Kompromiss zu veröffentlichen, um den Druck auf Regierung und Abgeordnete zu erhöhen.
    Nach stundenlangem Ringen einigen sich Regierung und Fraktionen auf einen Gegenvorschlag. Der Fürst lehnt ab, erklärt sich aber bereit, zu Gesprächen ins Regierungsgebäude zu kommen.
    Um 17 Uhr trifft der Fürst im Regierungsgebäude ein.
    Vor dem Regierungsgebäude in Vaduz findet eine Demonstration mit ca. 2000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Es kommt zu Pfiffen und Buhrufen gegen die Person des Fürsten.
    Die Beteiligten ringen noch um die letzten sprachlichen Finessen im gemeinsamen Kompromiss. Um 18.05 geben Landtagspräsident und Landesfürst die Einigung bekannt. (zur Oktober-Krise 1992 vgl. auch Alois Riklin, «Bodensee Hefte», Nr. 10, Oktober 1993, s. 20 ff).
  • 7. Dezember 1992
    Fürst Hans Adam II thematisiert vor einer Landtagsdelegation Probleme bei der Verfassungsauslegung.