Regierung, Sie haben mein Vertrauen verloren

In Artikel 80, Absatz 1 der Verfassung des Fürstentums Liechtenstein heisst es:

1) Verliert die Regierung das Vertrauen des Landesfürsten oder des Landtages, dann erlischt ihre Befugnis zur Ausübung des Amtes. Für die Zeit bis zum Antritt der neuen Regierung bestellt der Landesfürst unter Anwendung der Bestimmungen gemäss Art. 79 Abs. 1 und 4 eine Übergangsregierung zur interimistischen Besorgung der gesamten Landesverwaltung (Art. 78 Abs. 1). Der Landesfürst kann auch Mitglieder der alten Regierung in die Übergangsregierung berufen. Vor Ablauf von vier Monaten hat sich die Übergangsregierung im Landtag einer Vertrauensabstimmung zu stellen, sofern nicht vorher vom Landesfürsten einvernehmlich mit dem Landtage auf dessen Vorschlag eine neue Regierung ernannt wurde (Art. 79 Abs. 2).

Das heisst, dass Fürst und Landtag der Regierung je einseitig die Grundlage entziehen können. Dies bedeutet eine Machtverlagerung zum Fürsten.

Gerard Batliner formulierte das in seinem Diskussionspapier so:
Dass (bei unserem System mit relativ stabilen Grossparteien) die Landtagsmehrheit, welche eine Regierung ins Amt gewählt hat, die eigene Regierung abberuft, eine solche Aktion (wie im Fall Markus Büchel) ist höchst ungewöhnlich. Dazu braucht es auch noch die Zweidrittel-Anwesenheit der Abgeordneten im Landtag. Dagegen gelangt der in seinen Entscheidungen unbehinderte und unantastbare Fürst in den Stand, der Regierung jederzeit das Vertrauen entziehen zu können. Damit aber gerät die Regierung einseitig und stark in die  Abhängigkeit vom Fürsten. Und die Labilität des Systems wird institutionalisiert.

Präventive Ausstrahlung

Nach einem Rücktritt der Regierung greift nicht mehr das herkömmliche Regierungsbestellungsverfahren. Der Fürst bestellt eine Übergangsregierung, in deren Zusammensetzung er vollkommen frei ist, so kann der Fürst sogar die zurückgetretene Regierung mit der Weiterführung der Geschäfte beauftragen, auch wenn der Landtag dieser Regierung das Vertrauen entzogen hat. Falls sich Landtag und Fürst nicht über die Zusammensetzung der neuen Regierung einigen können, kann der Fürst den Landtag auflösen.

Der Fürst hat die Befugnis bei jeder Regierungskrise die gesamte Macht an sich zu ziehen. Wann immer der Fürst das Vertrauen in die Regierung verliert, hat er das Recht, sowohl die Regierung zu entlassen als auch den Landtag aufzulösen und dann allein weiterzuregieren.

Gerard Batliner schrieb dazu:
Gravierend ist die präventive, ständig wirkende Ausstrahlung eines solchen, nun real möglichen Szenarios auf das Denken, Tun und Lassen der einzelnen Regierungsmitglieder und der Regierung. Das wirkt hinüber auf den Landtag. Die Landtagsmehrheit wird Interesse haben, alles zu unterlassen und nichts zu tun, was den Unwillen des Fürsten heraufbeschwören  könnte. Die zu bedenkenden Alternativen bei einem Vertrauensverlust müssen einkalkuliert werden. Die Spirale dreht sich. Betroffen sind auch die Parteien und die ihnen nahestehende Presse. Selbst die politischen Minderheiten müssen achten, dass mit ihnen eine Zusammenarbeit noch möglich ist. Das neue System bewirkt, dass das Volk letztlich nicht seine, sondern eine dem Fürsten willfährige Regierung bekommt, wie einen auf Wohlverhalten gerichteten Landtag. In wichtigen Fragen werden Parteien und Presse ungenügend informieren oder nicht unbefangen Stellung beziehen. Auf diese Weise leidet  das Vertrauen in die Politik, die gewählten Vertreter und die Demokratie.

Wenn wir die heutige Situation betrachten, müssen wir zugeben, dass Dr. Gerard Batliner recht hatte. Die negativen Rückkoppelungseffekte sind deutlich sichtbar geworden. Tabus und Intransparenz werden unserem Staat und unserer Demokratie schaden.