Das erste und das letzte Wort

Verkehre man mit Geistern, so solle man das Gespräch mit der Formel «Das erste und das letzte Wort gehören mir» beginnen, denn, so geht die Sage, die Geister hätten, lungenlos wie sie wären, vom Atem des Menschen zu schöpfen, um sprechen zu können. Diese Luftentnahme müsse und könne durch die erwähnte Eingangsformel eingegrenzt werden.
Die Art und Weise, mit der Herr Liechtenstein junior das Sanktionsrecht sowohl als erstes als auch als letztes Wort in der Diskussion der Fristenregelung zur Anwendung bringt, hat nun tatsächlich etwas Atemberaubendes. Als Erfinder des doppelten Instant-Vetos – Nein! Und abermals Nein!! – ist ihm bereits jetzt ein Platz in den politischen Annalen des Landes als Grosstrotz sicher.
Wirklich den Schnauf verschlagen haben einem aber die Reaktionen der meisten Politiker: Um Gottes & Fürsten & Vaterlandes-Willen keine neue Verfassungsdiskussion! Auch wenn sie von his Erbprinz himself angezettelt wird. Da bekommen unsere Politiker den liechtensteinischen Verfassungsfehdehandschuh an den Kopf geworfen, und – anstatt lauthals loszubrüllen – schlucken sie leer und sagen tapfer: Tut überhaupt nicht weh, Durchlaucht, und bitte jetzt ein Bier im Schlossgarten, und noch eins und noch eins. Danach lügen wir uns im Landtag Liechtenstein als moralischen Leuchtturm zurecht. Wen wundert’s also, dass man bei diesen wahrlich historischen Zeiten japst und keucht und nach Atem ringt?

Bevor einem als Souverän Volk in der Bevor- und Benachmundung durch die Familie Liechtenstein aber die Puste ganz ausgeht, schaue man sich das Sanktionsrecht und dessen erstaunlichen Gestaltwandel in den Händen des Erbprinzen genauer an.
Das Sanktionsrecht dient dem Schutz der Verfassung. Es wird staatsmännisch ausgeübt, das heisst mit dem Blick auf die Gesamtheit des staatlichen Gefüges. Die Sanktionsverweigerung kann, sollte ein Gesetz die verfassungsgegebenen Rechte eines der Souveräne verletzten, als Ultima Ratio in Form einer Notbremse dienen.
Sanktionieren bedeutet ursprünglich strafen. Wichtig dabei ist der kausal-sequentielle Aspekt: Eine Tat wird sanktioniert, nicht weil sie möglich, sondern weil sie geschehen ist. Die Sanktion folgt deshalb der Tat. Das Sanktionsrecht des Staatsoberhauptes ist, was den Zeitpunkt im Gesetzgebungsprozess angeht, ebenfalls am Ende angesiedelt: Sie folgt der im Parlament beschlossenen Vorlage und sanktioniert sie  – oder eben nicht.

Wenn Herr Liechtenstein junior am selben Tag, an dem Frick & Quaderer eine Motion zur Fristenregelung im Landtag einreichen – also nichts tun, was die Rechte eines der beiden Souveräne verletzt -, die Verweigerung der Sanktion ankündigt, so tut das Staatsoberhaupt dabei drei ausserordentliche Dinge und zwar gleichzeitig:

  1. Der Erbprinz unterteilt das Sanktionsrecht in zwei Rechte, in a) ein Ankündigungsrecht, ob er sanktionieren wird oder nicht, und b) ein Vollzugsrecht der Sanktion.
  2. Der Thronfolger keilt die Ankündigung der Nichtsanktion in den Beginn des Gesetzgebungsprozesses und beeinflusst ihn dadurch so stark, dass er entweder eine Trockenübung bleibt oder nur in den Bahnen läuft, die Durchlaucht genehm sind und zu dessen Sanktion führen.
  3. Alois übt das Sanktionsrecht nicht als Staatsmann, sondern als Privatperson mit den ihm oder seiner Familie eigenen Moralvorstellungen aus.

Beginnen wir, um den Geist dieser Sanktionsakrobatik auch wahrhaftig würdigen zu können, hinten: Bei allem Verständnis für die existentielle Dimension der Fristenregelung ist das Sanktionsrecht weder die Kanzel für Katechismen jeglicher Couleur noch die Wallstatt für Monarchentrotz. Der derzeitige inflationäre Privatgebrauch der Sanktionsverweigerung durch den Erbprinzen verwandelt eine Notfallsicherung in eine Themenkeule. Dass sich in der Frage der Abtreibung der Erbprinz persönlich dafür einsetzen werde, «die gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen für Frauen und Paare im Schwangerschaftskonflikt zu verbessern» (Pressemitteilung des Fürstenhauses vom 28.9.11), ist ehrenwert und allezeit unbenommen, legitimiert aber seinen privaten Vetofuror nicht.

Es war eine Strategie der Familie Liechtenstein, den politischen Prozess während der Verfassungsdiskussion gesamthaft zu umfassen, indem sie im Rahmen ihrer Verfassungsinitiative sowohl als Initiator als auch als Endkontrolleur auftrat, dadurch Widerstände in Regierung und Landtag umging und direkt dem Volk aufsitzen konnte. Clever ausgedacht, effizient durchgezogen und in der langfristigen Wirkung für die Kohabitation von Demokratie und Monarchie in diesem Staat ausgesprochen toxisch. Wenn Herr Liechtenstein junior nun das damals eingeübte Spiel in einer ihm unbequemen Sachfrage wieder versucht, sei er daran erinnert, dass er – und nur er – Verfassungsgalle heraufbeschwört. Dieses Land ist zuallererst eine Zivilgesellschaft, die fähig und bereit ist, für sich und seine Angelegenheiten Verantwortung zu übernehmen, auch in der Frage der Abtreibung. Es steht dem Monarchen weder zu, die Meinungsbildung im Souverän Volk zu beengen oder gar zu ersticken, noch in ethischen Fragen für es zu entscheiden.

Es war in jenen Jahren eine weitere Strategie der fürstlichen Familie, auf der Wortwörtlichkeit der Verfassung zu beharren und der Verfassungswirklichkeit – wie sie beispielsweise in Norwegen der Fall ist, wo sich der König hütet, seine Rechte auch zu gebrauchen – eine Karachoabfuhr sondergleichen zu erteilen. Nun finden wir aber ausgerechnet den Erbprinzen mit seiner Umdeutung des Sanktionsrechts in ein Ankündigungs- und ein Vollzugsrecht äusserst munter in der Schaffung eben jener Verfassungswirklichkeit. Woher der Gesinnungswandel? Haben sich die Fürstens auf das Blockieren im Vorfeld verlegt, um die volle Wucht der Auseinandersetzung mit einer Zivilgesellschaft zu vermeiden, fiele ihr Sanktionsbeil verfassungskonform und wortwörtlich erst am Schluss? Eine Sanktionsverweigerung als Notbremse wiegt schwer. Man hat sich politisch dafür zu verantworten, wenn man dem Souverän Volk nach dem Motto «Einer gegen Alle» den Weg verstellt. Genau dieser Verantwortung trachtet der Erbprinz zu entkommen, wenn er seine Neins prophylaktisch durch die Gegend schmeisst. Und genau aus dieser Verantwortung darf man ihn nicht entschlüpfen lassen, will man vermeiden, dass das Sanktionsrecht zu einer monarchischen Unlusthupe verkommt.

Angesichts dieser Flausen aus absolutistischem Geist sei nochmals an die eingangs erwähnte Formel erinnert, diesmal aus der Perspektive des anderen Souveräns und zur Durchlüftung des Staates Liechtenstein: Das erste und das letzte Wort gehören dem Volk.

Aus dem flinfo 04/2011 vom Oktober 2011